Vom Jugendamt-Brief bis zum Gerichtsbeschluss: Ihr Weg zum Kitaplatz

„Leider können wir Ihnen keinen Betreuungsplatz anbieten." Der Brief vom Jugendamt landet Ende April auf dem Tisch. Die Elternzeit endet am 1. August. Kündigung droht, wenn keine Betreuung da ist. Was nun? Viele Eltern kapitulieren an dieser Stelle. Dabei ist die Rechtslage klar: Sie haben Anspruch auf einen Kitaplatz – und den können Sie einklagen. Mit hoher Erfolgsquote (75-80%) und überschaubaren Kosten (die bei Erfolg das Jugendamt trägt).

Dieser Leitfaden zeigt Schritt für Schritt, wie Sie vorgehen: Von der Vorbereitung über den Gerichtsantrag bis zum Beschluss. Mit konkreten Fristen, Kosten und Musterformulierungen. Nach der Lektüre wissen Sie genau, was zu tun ist.

Schritt 1: Prüfen Sie die Voraussetzungen (5 Minuten)

Bevor Sie klagen, müssen vier Bedingungen erfüllt sein:

1. Rechtsanspruch besteht

Ihr Kind muss mindestens ein Jahr alt sein (§ 24 Abs. 2 SGB VIII). In Berlin gilt der Anspruch sogar ab Geburt. Sie müssen einen Betreuungsbedarf nachweisen können (Berufstätigkeit, Ausbildung, Studium, Jobsuche).

2. Sie haben sich rechtzeitig angemeldet

„Rechtzeitig" bedeutet: 6-9 Monate vor gewünschtem Betreuungsbeginn. Haben Sie das Jugendamt später kontaktiert, wird es schwieriger (aber nicht unmöglich). Dokumentieren Sie die Anmeldung (E-Mail, Bestätigung).

3. Das Jugendamt kann keinen Platz bereitstellen

Entweder: (a) Das Jugendamt hat explizit abgesagt („Kein Platz verfügbar"). Oder: (b) Das Jugendamt schweigt trotz Ihrer Anmeldung und gesetzter Frist. Oder: (c) Das Jugendamt bietet nur einen unzumutbaren Platz an (über 30 Min. entfernt, falsche Öffnungszeiten).

4. Dringlichkeit liegt vor (für Eilverfahren)

Wenn Sie ein Eilverfahren (einstweilige Anordnung) wollen, müssen Sie nachweisen: Der Platz wird jetzt sofort gebraucht. Ihr Jobeinstieg steht bevor, Kündigung droht, Sie können nicht mehr warten. Ohne Dringlichkeit: Hauptsacheverfahren (dauert 6-12 Monate).

Schritt 2: Sammeln Sie alle Unterlagen (1-2 Stunden)

Bevor Sie zum Anwalt gehen oder selbst den Antrag stellen, brauchen Sie:

Dokument Warum wichtig? Wo bekommen?
Geburtsurkunde Nachweis Alter des Kindes Standesamt (Kopie ausreichend)
Anmeldung beim Jugendamt Nachweis rechtzeitiger Anmeldung E-Mail-Bestätigung, Brief, Online-Portal Screenshot
Kita-Absagen Zeigt: Sie haben aktiv gesucht E-Mails von Kitas, schriftliche Absagen (mind. 5-10 Stück)
Arbeitsvertrag Nachweis Betreuungsbedarf Arbeitgeber (Kopie)
Arbeitgeberbescheinigung Bestätigt Rückkehrtermin, Arbeitszeiten Personalabteilung (formloses Schreiben)
Jugendamt-Korrespondenz Alle E-Mails, Briefe, Absagen Eigene Unterlagen
Wohnsitz-Nachweis Zuständigkeit des Jugendamts Meldebescheinigung (Bürgeramt)

Schritt 3: Setzen Sie dem Jugendamt eine letzte Frist (Pflicht!)

Bevor Sie klagen können, müssen Sie dem Jugendamt eine Frist setzen. Ohne Fristsetzung weist das Gericht den Antrag ab („Kläger hat nicht alle zumutbaren Schritte unternommen").

Muster-Schreiben:

Betreff: Bereitstellung Kitaplatz für [Name des Kindes], geb. [Datum] – Fristsetzung

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Kind [Name], geboren am [Datum], hat seit dem [Datum] einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII.

Ich habe mich am [Datum der Anmeldung] bei Ihnen gemeldet und einen Betreuungsplatz ab dem [gewünschtes Datum] beantragt. Bis heute (über [X] Monate später) haben Sie keinen Platz bereitgestellt.

Meine Berufstätigkeit erfordert zwingend eine Betreuung (siehe Anlage: Arbeitsvertrag, Arbeitgeberbescheinigung). Mein Arbeitsbeginn ist am [Datum]. Ohne Betreuung droht mir die Kündigung.

Ich fordere Sie hiermit auf, mir bis spätestens [Datum, 14 Tage später] einen wohnortnahen Betreuungsplatz (maximal 30 Minuten Fahrtzeit) nachzuweisen.

Sollten Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, werde ich ohne weitere Ankündigung rechtliche Schritte einleiten und Schadensersatz für entstandene Kosten (Verdienstausfall, Anwaltskosten, Tagesmutter) geltend machen.

Mit freundlichen Grüßen,
[Ihr Name]
[Adresse]
[E-Mail, Telefon]

Anlagen:
- Arbeitsvertrag
- Arbeitgeberbescheinigung
- Kita-Absagen (Liste)

Wichtig: Per E-Mail UND per Einschreiben senden. Datum dokumentieren.

Schritt 4: Anwalt beauftragen oder selbst klagen? (Entscheidung)

Sie haben zwei Optionen:

Option A: Fachanwalt beauftragen (empfohlen)

Vorteile:

  • Höhere Erfolgsquote (spezialisierte Anwälte: 80-85%, Laien: 60-65%)
  • Anwalt kennt lokale Rechtsprechung, Richter, Jugendamt
  • Professionelle Antragsformulierung
  • Bei Erfolg zahlt Jugendamt die Anwaltskosten

Kosten:

  • Anwaltsgebühren: Ca. 600-900€ (abhängig vom Streitwert)
  • Bei Rechtsschutzversicherung: Oft komplett abgedeckt
  • Bei Erfolg: Jugendamt erstattet alles
  • Bei Niederlage: Sie tragen Ihre Kosten selbst (Gegenseite nicht, da Jugendamt)

Option B: Selbst klagen (möglich, aber riskanter)

Vorteile:

  • Keine Anwaltskosten vorab
  • Volle Kontrolle über Antrag

Nachteile:

  • Formfehler können zur Ablehnung führen
  • Sie kennen die lokale Rechtsprechung nicht
  • Gerichtssprache ist komplex

Empfehlung: Wenn Sie Rechtsschutzversicherung haben oder sich Anwalt leisten können → nehmen Sie Anwalt. Wenn nicht: Selbst klagen ist möglich, aber informieren Sie sich gründlich.

Schritt 5: Eilantrag beim Verwaltungsgericht stellen

Wenn die 14-Tage-Frist abgelaufen ist ohne Reaktion des Jugendamts, stellen Sie den Eilantrag (einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO).

Zuständiges Gericht

Das Verwaltungsgericht Ihres Bundeslandes. Beispiele:

  • Berlin: Verwaltungsgericht Berlin, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin
  • Hamburg: Verwaltungsgericht Hamburg, Lübeckertordamm 4, 20099 Hamburg
  • München: Verwaltungsgericht München, Bayerstraße 30, 80335 München

Google: „Verwaltungsgericht [Ihre Stadt]" → Website hat Adresse und Kontakt

Was kostet der Eilantrag?

Position Kosten Wer zahlt bei Erfolg?
Gerichtsgebühr 240€ (pauschal) Jugendamt erstattet
Anwaltsgebühren 600-900€ Jugendamt erstattet
Gesamt 840-1.140€ Jugendamt erstattet alles

Bei Niederlage: Sie zahlen nur Ihre eigenen Kosten (Gericht + Anwalt), nicht die des Jugendamts (öffentliche Hand trägt eigene Kosten selbst).

Schritt 6: Wie lange dauert das Verfahren?

Typischer Zeitablauf im Eilverfahren:

Phase Dauer Was passiert?
Antragstellung Tag 0 Sie/Ihr Anwalt reichen Eilantrag ein
Aktenzeichen-Vergabe 1-3 Tage Gericht bestätigt Eingang, vergibt Aktenzeichen
Stellungnahme Jugendamt 7-10 Tage Gericht fordert Jugendamt zur Stellungnahme auf
Ihre Erwiderung (optional) 3-5 Tage Sie können auf Stellungnahme reagieren
Beschluss 14-28 Tage Gericht entscheidet (meist ohne mündliche Verhandlung)
Gesamt 3-6 Wochen Vom Antrag bis Beschluss

In besonders dringenden Fällen: Gericht kann binnen 1 Woche entscheiden (wenn Jobbeginn unmittelbar bevorsteht).

Schritt 7: Was passiert nach dem Urteil?

Szenario 1: Sie gewinnen (75-80% Wahrscheinlichkeit)

Das Gericht verpflichtet das Jugendamt, binnen einer Frist (meist 2-4 Wochen) einen wohnortnahen Platz nachzuweisen. Was dann passiert:

  1. Jugendamt kontaktiert Sie (meist binnen 1 Woche nach Urteil)
  2. Platzangebot wird unterbreitet
  3. Sie prüfen: Ist der Platz zumutbar? (Entfernung, Öffnungszeiten)
  4. Annahme oder Ablehnung (bei Ablehnung: Begründung erforderlich)
  5. Kostenerstattung: Jugendamt zahlt Ihre Anwalts- und Gerichtskosten

Szenario 2: Sie verlieren (20-25% Wahrscheinlichkeit)

Mögliche Gründe:

  • Sie haben sich nicht rechtzeitig angemeldet
  • Betreuungsbedarf nicht ausreichend nachgewiesen
  • Jugendamt hat bereits einen Platz angeboten (den Sie ablehnten), der zumutbar war
  • Dringlichkeit nicht gegeben (Jobbeginn noch Monate entfernt)

Sie tragen dann: Ihre eigenen Kosten (Anwalt + Gericht). Das Jugendamt trägt seine Kosten selbst.

Szenario 3: Vergleich (ca. 15% der Fälle)

Während des Verfahrens schlägt das Gericht oder Jugendamt einen Vergleich vor: „Wir bieten Ihnen Platz X an, im Gegenzug ziehen Sie die Klage zurück." Prüfen Sie genau: Ist der Platz wirklich zumutbar?

Erfolgsquoten nach Städten (2023/2024)

Stadt/Gericht Erfolgsquote Eltern Ø Bearbeitungszeit Besonderheiten
Berlin (VG Berlin) 78% 2-4 Wochen Sehr elternfreundlich, hoher Platzmangel = hohe Erfolgsquote
Hamburg (VG Hamburg) 75% 3-5 Wochen Prüft Zumutbarkeit streng (Fahrtzeit, Umsteigen)
München (VG München) 74% 4-6 Wochen Erwartet umfangreiche Dokumentation
Köln (VG Köln) 72% 3-5 Wochen Mittlere Erfolgsquote, kommt auf Einzelfall an
Frankfurt (VG Frankfurt) 70% 4-6 Wochen Strenger bei Selbstständigen (Bedarfsnachweis)

Die 5 häufigsten Fehler – und wie Sie sie vermeiden

Fehler 1: Keine Frist gesetzt

Ohne Fristsetzung ans Jugendamt weist das Gericht ab. Immer 14 Tage Frist setzen, dokumentieren.

Fehler 2: Zu spät angemeldet

Wenn Sie sich erst 2 Monate vor gewünschtem Betreuungsbeginn melden, argumentiert das Jugendamt: „Unmöglich, so kurzfristig." Melden Sie sich 6-9 Monate vorher an.

Fehler 3: Keine eigenen Kita-Bewerbungen

Manche Eltern verlassen sich nur aufs Jugendamt. Aber: Gerichte erwarten, dass Sie selbst auch gesucht haben. Mind. 5-10 Kita-Bewerbungen dokumentieren.

Fehler 4: Betreuungsbedarf unklar

„Ich brauche einen Platz" reicht nicht. Sie müssen konkret nachweisen: Arbeitsvertrag, Arbeitszeiten, Rückkehrtermin. Bei Selbstständigkeit: Auftragsbestätigungen, Gewerbeanmeldung.

Fehler 5: Hauptsacheverfahren statt Eilverfahren

Hauptsacheverfahren dauert 6-12 Monate. Viel zu lang, wenn Sie jetzt sofort einen Platz brauchen. Wählen Sie Eilverfahren (einstweilige Anordnung).

Fazit: Klagen lohnt sich – wenn Sie es richtig machen

Eine Kitaplatz-Klage ist kein Hexenwerk. Mit guter Vorbereitung, rechtzeitiger Anmeldung und vollständiger Dokumentation haben Sie 75-80% Erfolgsaussicht. Das Verfahren dauert 3-6 Wochen, kostet 840-1.140€ (bei Erfolg zahlt Jugendamt) und verschafft Ihnen den Platz, auf den Sie Anspruch haben.

Zusammenfassung der 7 Schritte:

  1. Voraussetzungen prüfen (Rechtsanspruch, rechtzeitige Anmeldung, kein Platz, Dringlichkeit)
  2. Unterlagen sammeln (Geburtsurkunde, Arbeitsvertrag, Kita-Absagen, Jugendamt-Korrespondenz)
  3. Jugendamt Frist setzen (14 Tage, schriftlich, dokumentieren)
  4. Anwalt beauftragen (empfohlen) oder selbst klagen
  5. Eilantrag beim Verwaltungsgericht stellen (240€ Gerichtsgebühr)
  6. 3-6 Wochen warten auf Beschluss
  7. Bei Erfolg: Platzangebot prüfen, annehmen, Kostenerstattung einfordern

Wichtigste Regel: Dokumentieren Sie alles. Jede E-Mail, jeden Brief, jede Absage, jeden Anruf (per E-Mail bestätigen lassen). Je besser Ihre Dokumentation, desto höher Ihre Erfolgschancen.

Nächster Schritt: Lassen Sie Ihren Fall prüfen. Kostenlose Ersteinschätzung binnen 24 Stunden: Haben Sie Erfolgsaussichten? Was sollten Sie jetzt tun? Welche Unterlagen fehlen noch?