Wenn Jugendliche mit dem Gesetz in Konflikt geraten, gelten besondere Regeln. Das Jugendstrafrecht setzt auf Erziehung statt Bestrafung und bietet jungen Menschen eine zweite Chance. Dieser umfassende Ratgeber erklärt, welche Maßnahmen drohen, wie das Verfahren abläuft und welche Rechte Betroffene und Eltern haben.

Grundlagen des Jugendstrafrechts

Das Jugendstrafrecht ist ein gesonderter Bereich des Strafrechts, der auf Jugendliche und heranwachsende Personen angewendet wird, wenn diese mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Gesetzliche Grundlage bildet das Jugendgerichtsgesetz (JGG), das einen grundlegend anderen Ansatz verfolgt als das allgemeine Strafrecht.

Erziehung statt Bestrafung

Der zentrale Unterschied zum Erwachsenenstrafrecht: Das Jugendstrafrecht verfolgt primär einen erzieherischen Ansatz. Es geht nicht darum, Jugendliche hart zu bestrafen, sondern sie zu unterstützen, wieder einen rechtskonformen Weg einzuschlagen und ihre Entwicklung positiv zu beeinflussen.

Dieser besondere Ansatz basiert auf der Erkenntnis, dass Jugendliche oft impulsiv handeln, aus Gruppenzwang oder Leichtsinn, ohne über die möglichen Folgen ihres Handelns nachzudenken. Ihr Gehirn befindet sich noch in der Entwicklung, ihre Persönlichkeit ist nicht gefestigt, und sie sind besonders empfänglich für erzieherische Maßnahmen.

Das Jugendstrafrecht berücksichtigt mehrere entwicklungspsychologische Faktoren:

  • Unreife des Frontalhirns: Der präfrontale Kortex, zuständig für Impulskontrolle und Risikoabwägung, ist bei Jugendlichen noch nicht vollständig entwickelt
  • Peer-Einfluss: Jugendliche sind besonders anfällig für Gruppendruck und orientieren sich stark an Gleichaltrigen
  • Identitätsfindung: Die Jugend ist eine Phase der Selbstfindung, in der Grenzen ausgetestet werden
  • Veränderbarkeit: Junge Menschen sind formbar und können durch gezielte Interventionen positiv beeinflusst werden

Praxis-Tipp: Ruhe bewahren

Wenn Ihr Kind mit einem Strafvorwurf konfrontiert wird, bewahren Sie Ruhe. Auch Jugendliche haben das Recht zu schweigen und sollten vor einer Aussage unbedingt anwaltlichen Rat einholen. Voreilige Aussagen können das Verfahren negativ beeinflussen.

Wer fällt unter das Jugendstrafrecht?

Das Jugendstrafrecht unterscheidet zwischen verschiedenen Altersgruppen:

  • Kinder (unter 14 Jahre): Sind strafunmündig und können nicht strafrechtlich verfolgt werden
  • Jugendliche (14 bis 17 Jahre): Unterliegen automatisch dem Jugendstrafrecht, sofern sie zur Tatzeit bereits 14 Jahre alt waren
  • Heranwachsende (18 bis 21 Jahre): Können nach Jugendstrafrecht behandelt werden, wenn ihr Entwicklungsstand noch dem eines Jugendlichen entspricht oder die Tat jugendtypisch ist

Voraussetzung: Schuldfähigkeit

Eine Maßnahme kommt nur infrage, wenn der Jugendliche zum Zeitpunkt der Tat schuldfähig war – also ausreichend reif und einsichtig, um das Unrecht seines Handelns zu erkennen. Dies wird im Einzelfall vom Jugendrichter geprüft, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen.

Bei Jugendlichen wird grundsätzlich vermutet, dass sie schuldfähig sind, sobald sie 14 Jahre alt sind. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden, wenn:

  • Entwicklungsstörungen vorliegen
  • Psychische Beeinträchtigungen bestehen
  • Eine geistige Behinderung die Einsichtsfähigkeit einschränkt
  • Schwere traumatische Erlebnisse die Entwicklung beeinträchtigt haben

In solchen Fällen wird ein psychologisches oder psychiatrisches Gutachten eingeholt, um die Schuldfähigkeit zu beurteilen.

Besonderheiten bei Heranwachsenden

Bei Heranwachsenden (18 bis 21 Jahre) muss der Jugendrichter gesondert feststellen, ob Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt. Dies ist der Fall, wenn:

  • Der Entwicklungsstand des Heranwachsenden noch dem eines Jugendlichen entspricht (sog. Reifeverzögerung), oder
  • Die begangene Tat ihrer Art nach eine jugendtypische Verfehlung darstellt (z.B. Mutprobe, Gruppendruck)

Diese Prüfung erfolgt unter Berücksichtigung der Persönlichkeit, des Lebenswandels und der sozialen Situation des Täters. Faktoren, die für eine Reifeverzögerung sprechen können:

  • Noch in Schul- oder Berufsausbildung
  • Wohnt noch bei den Eltern
  • Keine gefestigte Persönlichkeit
  • Fehlendes Unrechtsbewusstsein
  • Soziale Unreife

Maßnahmen im Jugendstrafrecht

Je nach Schwere der Tat, Persönlichkeit des Täters und den individuellen Lebensverhältnissen kommen im Jugendstrafrecht verschiedene Maßnahmen in Betracht. Diese können auch kombiniert werden, um optimal auf den Jugendlichen einzuwirken.

Das Gesetz sieht ein dreistufiges System vor, das von milden erzieherischen Maßnahmen bis hin zur Freiheitsentziehung reicht. Den Richtern wird dabei ein weiter Entscheidungsspielraum eingeräumt, um die Maßnahmen individuell abstimmen zu können.

Bei der Auswahl der Maßnahme berücksichtigt das Gericht:

  • Die Schwere und Art der begangenen Tat
  • Die Persönlichkeit und den Entwicklungsstand des Jugendlichen
  • Das familiäre und soziale Umfeld
  • Bisherige Auffälligkeiten oder Vorstrafen
  • Die Motivation für die Tat
  • Das Nachtatverhalten (Reue, Wiedergutmachung)
  • Prognose zur weiteren Entwicklung

Stufe 1: Erziehungsmaßregeln

Erziehungsmaßregeln stellen die mildeste Stufe möglicher Maßnahmen dar und kommen bei leichteren Verfehlungen zur Anwendung. Sie sollen den Jugendlichen positiv beeinflussen, ohne ihn zu stark einzuschränken.

Weisungen

Weisungen sind Anordnungen, die das Verhalten des Jugendlichen regeln und seine Entwicklung fördern sollen. Der Jugendrichter kann sehr flexibel Weisungen erteilen, die auf den Einzelfall zugeschnitten sind:

Typische Weisungen

  • Wohnungsweisung: Verpflichtung, bei den Eltern oder in einer betreuten Wohnform zu wohnen
  • Meldeweisung: Regelmäßige Vorstellung bei der Jugendgerichtshilfe oder Polizei
  • Kontaktverbot: Verbot des Umgangs mit bestimmten Personen (z.B. Mittätern)
  • Ausgehverbot: Beschränkung der Ausgehzeiten
  • Arbeits- oder Schulweisung: Aufnahme oder Fortsetzung einer Ausbildung
  • Teilnahme an Kursen: Verkehrserziehung, Anti-Gewalt-Training, Drogenberatung
  • Wiedergutmachung: Entschuldigung beim Opfer oder Schadenswiedergutmachung

Arbeitsleistungen

Der Jugendliche kann verpflichtet werden, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Dies kann sein:

  • Arbeit in sozialen Einrichtungen (Altenheim, Kindergarten, Krankenhaus)
  • Umwelt- oder Naturschutzarbeiten
  • Renovierungsarbeiten in öffentlichen Einrichtungen
  • Unterstützung bei gemeinnützigen Projekten

Der Umfang beträgt meist zwischen 10 und 80 Stunden, je nach Schwere der Tat. Die Arbeit soll dem Jugendlichen den Wert gemeinnützigen Engagements vermitteln und ihm zeigen, wie er der Gesellschaft etwas zurückgeben kann.

Sozialer Trainingskurs

Soziale Trainingskurse sind Gruppenprogramme, die über mehrere Wochen oder Monate laufen. Inhalte können sein:

  • Konfliktbewältigungsstrategien
  • Empathietraining
  • Kommunikationstraining
  • Umgang mit Wut und Aggression
  • Selbstwertgefühl und Selbstreflexion

Täter-Opfer-Ausgleich

Der Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) ist ein besonders wichtiges Instrument im Jugendstrafrecht. Unter Anleitung eines neutralen Mediators treffen sich Täter und Opfer, um:

  • Das Geschehene aufzuarbeiten
  • Die Perspektive des jeweils anderen zu verstehen
  • Eine Wiedergutmachung zu vereinbaren
  • Einen Schlussstrich zu ziehen

Ein erfolgreicher TOA kann sogar zur Einstellung des Verfahrens führen.

Betreuungsweisung

Der Jugendliche wird einem Betreuungshelfer zur Seite gestellt, der ihn über einen längeren Zeitraum begleitet. Die Betreuung umfasst:

  • Regelmäßige Gespräche
  • Unterstützung bei schulischen oder beruflichen Problemen
  • Hilfe bei der Freizeitgestaltung
  • Vermittlung bei Konflikten mit Eltern oder Behörden

Stufe 2: Zuchtmittel

Wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen oder die Tat schwerer wiegt, können sogenannte Zuchtmittel eingesetzt werden. Diese sollen dem Jugendlichen eindringlich vor Augen führen, dass er für sein Fehlverhalten einstehen muss.

Verwarnung

Der Jugendliche wird vom Gericht eindringlich auf sein Fehlverhalten hingewiesen und zu künftiger Gesetzestreue ermahnt. Die Verwarnung erfolgt in der Hauptverhandlung und soll dem Jugendlichen die Ernsthaftigkeit der Lage deutlich machen.

Der Richter macht dem Jugendlichen klar:

  • Welches Unrecht er begangen hat
  • Welche Folgen sein Handeln für andere hatte
  • Dass er beim nächsten Mal mit härteren Konsequenzen rechnen muss
  • Welche Chancen er jetzt noch hat

Auflagen

Das Gericht kann verschiedene Auflagen erteilen:

  • Arbeitsleistung: Ableistung unbezahlter Arbeitsstunden (bis zu 80 Stunden)
  • Geldzahlung: Zahlung eines Geldbetrags an eine gemeinnützige Einrichtung
  • Entschuldigung: Persönliche Entschuldigung beim Geschädigten, oft verbunden mit einem Gespräch

Jugendarrest

Der Jugendarrest ist eine kurzfristige Freiheitsentziehung und stellt die schärfste Form der Zuchtmittel dar. Es gibt drei Formen:

  • Freizeitarrest: Freiheitsentzug an Wochenenden (mind. 1, max. 2 Wochenenden)
  • Kurzarrest: Freiheitsentzug von 2 bis 4 Tagen
  • Dauerarrest: Freiheitsentzug von 1 bis 4 Wochen

Der Arrest wird in einer Jugendarrestanstalt vollzogen, nicht in einem Gefängnis. Der Aufenthalt soll durch pädagogische Angebote und Betreuung geprägt sein:

  • Einzelgespräche mit Sozialpädagogen
  • Gruppengespräche und Reflexion
  • Sport- und Freizeitangebote
  • Arbeitsmöglichkeiten
  • Vorbereitung auf die Zeit nach dem Arrest

Beispielfall: Jugendarrest als Weckruf

Situation: Ein 15-jähriger begeht wiederholt Ladendiebstähle, nimmt bisherige Verwarnungen nicht ernst und zeigt kein Unrechtsbewusstsein. Das Gericht verhängt einen zweiwöchigen Dauerarrest.
Lösung: Im Arrest erlebt der Jugendliche die Konsequenzen seines Handelns unmittelbar. Durch intensive Gespräche mit Sozialpädagogen und die Konfrontation mit der eigenen Situation entwickelt er Einsicht. Nach dem Arrest nimmt er eine Betreuungsweisung wahr und bleibt straffrei.
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Stufe 3: Jugendstrafe

Die Jugendstrafe ist die schwerste Sanktion im Jugendstrafrecht und bedeutet eine Freiheitsentziehung in einer Jugendstrafanstalt. Sie kommt nur unter engen Voraussetzungen zur Anwendung:

  • Bei schweren Straftaten, die nach Art und Schwere eine Jugendstrafe erfordern, oder
  • Bei Vorliegen schädlicher Neigungen, die eine längere Erziehung in einer Einrichtung notwendig machen

Was sind schädliche Neigungen?

Schädliche Neigungen liegen vor, wenn der Jugendliche:

  • Wiederholttäter ist und trotz bisheriger Maßnahmen weitere Straftaten begeht
  • Charakterliche Mängel aufweist, die zu Straftaten führen (z.B. Aggressivität, fehlende Impulskontrolle)
  • In kriminellen Strukturen eingebunden ist
  • Eine Suchterkrankung hat, die zu Straftaten führt

Dauer der Jugendstrafe

Die Jugendstrafe beträgt mindestens 6 Monate und höchstens 5 Jahre. Bei besonders schweren Verbrechen (z.B. Mord) kann sie auf bis zu 10 Jahre erhöht werden, wenn der Jugendliche zum Zeitpunkt der Tat bereits 14 Jahre alt war.

Das Gericht bemisst die Strafe nach:

  • Der Schwere der Schuld
  • Dem für die Erziehung erforderlichen Zeitraum
  • Der Prognose zur Legalbewährung

Vollzug der Jugendstrafe

Die Jugendstrafe wird in einer Jugendstrafanstalt vollzogen, die sich vom Erwachsenenvollzug unterscheidet:

  • Kleinere Abteilungen: Überschaubare Wohngruppen statt großer Trakteanlagen
  • Mehr Personal: Intensivere Betreuung durch Sozialpädagogen
  • Schulische Angebote: Möglichkeit, Schulabschlüsse nachzuholen
  • Ausbildung: Berufliche Qualifizierungsmaßnahmen
  • Therapieangebote: Psychologische Betreuung, Suchttherapie, Sozialtraining
  • Sport und Freizeit: Vielfältige Beschäftigungsangebote

Aussetzung zur Bewährung

Eine Jugendstrafe kann zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn:

  • Die Strafe nicht mehr als 2 Jahre beträgt (Regelfall), oder
  • Bei Strafen bis zu 3 Jahren besondere Umstände vorliegen (Ausnahme)

Voraussetzung ist, dass zu erwarten ist, dass der Jugendliche auch ohne Vollzug keine Straftaten mehr begehen wird. Das Gericht prüft:

  • Die Persönlichkeit des Jugendlichen
  • Sein Nachtatverhalten (Reue, Geständnis, Wiedergutmachung)
  • Sein familiäres und soziales Umfeld
  • Vorhandene Unterstützungsstrukturen
  • Ausbildungs- oder Arbeitsstelle

Bewährungszeit und Auflagen

Während der Bewährungszeit (1 bis 3 Jahre) muss sich der Jugendliche an bestimmte Auflagen und Weisungen halten:

  • Bewährungshelfer: Regelmäßige Gespräche und Kontrolle
  • Arbeit oder Ausbildung: Aufnahme oder Fortsetzung
  • Wohnsitz: Fester Wohnsitz bei Eltern oder in betreuter Wohnform
  • Therapie: Bei Bedarf Drogentherapie oder psychologische Behandlung
  • Meldepflicht: Regelmäßige Vorstellung beim Bewährungshelfer
  • Kontaktverbote: Fernhalten von bestimmten Personen oder Orten

Bei Verstößen gegen die Bewährungsauflagen kann die Bewährung widerrufen und die Strafe vollstreckt werden.

Nachträgliche Aussetzung

Auch wenn eine Jugendstrafe zunächst nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, kann sie später zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn:

  • Die Hälfte der Strafe verbüßt wurde (Regelfall)
  • Ein Drittel der Strafe verbüßt wurde (bei besonders guter Führung)
  • Der Jugendliche sich im Vollzug bewährt hat
  • Eine positive Prognose besteht

Das Jugendstrafverfahren

Ein Verfahren nach Jugendstrafrecht läuft anders ab als vor einem regulären Strafgericht. Es gibt zahlreiche Besonderheiten, die den erzieherischen Charakter des Jugendstrafrechts widerspiegeln.

Zuständigkeit: Jugendgerichte

Für Jugendstrafsachen sind spezielle Jugendgerichte zuständig. Je nach Schwere der Tat entscheidet:

  • Jugendrichter: Bei leichteren Vergehen (Einzelrichter)
  • Jugendschöffengericht: Bei mittelschweren Taten (1 Richter + 2 Schöffen)
  • Jugendkammer: Bei schweren Verbrechen (3 Richter + 2 Schöffen)

Die Schöffen im Jugendstrafverfahren sollten erzieherisch erfahren und in der Jugendarbeit tätig sein, um die pädagogische Perspektive einzubringen.

Ablauf eines Jugendstrafverfahrens

1. Ermittlungsverfahren

Das Verfahren beginnt mit Ermittlungen der Polizei oder Staatsanwaltschaft:

  • Vorladung: Der Jugendliche wird zur Vernehmung geladen
  • Elternbenachrichtigung: Die Eltern werden informiert
  • Jugendgerichtshilfe: Wird eingeschaltet und erstellt einen Bericht
  • Beweiserhebung: Zeugen werden vernommen, Spuren gesichert

Praxis-Tipp: Sofort Anwalt einschalten

Bereits bei der ersten Vorladung sollten Sie einen Anwalt beauftragen. Er kann von Anfang an die Weichen richtig stellen, bei der Vernehmung dabei sein und verhindern, dass Ihr Kind unüberlegt Aussagen macht, die ihm später schaden.

2. Entscheidung der Staatsanwaltschaft

Nach Abschluss der Ermittlungen entscheidet die Jugendstaatsanwaltschaft:

  • Einstellung (§ 45 JGG): Bei geringer Schuld und wenn erzieherische Maßnahmen bereits erfolgt sind
  • Diversion (§ 47 JGG): Einstellung gegen Auflagen (z.B. Arbeitsleistung, TOA)
  • Anklageerhebung: Wenn eine gerichtliche Entscheidung erforderlich ist

3. Hauptverhandlung

Wenn Anklage erhoben wird, kommt es zur Hauptverhandlung vor dem Jugendgericht:

  • Nicht-Öffentlichkeit: Die Verhandlung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt
  • Anwesenheit: Jugendlicher, Eltern, Jugendgerichtshilfe, Staatsanwalt, Verteidiger
  • Verlesung der Anklage: Der Vorwurf wird dargelegt
  • Anhörung des Jugendlichen: Er kann sich äußern, muss es aber nicht
  • Beweisaufnahme: Zeugen, Sachverständige, Urkunden
  • Plädoyers: Staatsanwalt und Verteidiger tragen ihre Anträge vor
  • Letztes Wort: Der Jugendliche darf sich nochmals äußern
  • Urteil: Das Gericht verkündet seine Entscheidung

Nicht-Öffentlichkeit der Verhandlung

Im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht sind Jugendgerichtsverhandlungen grundsätzlich nicht öffentlich. Dies dient dem Schutz der Privatsphäre und soll verhindern, dass der Jugendliche stigmatisiert wird.

Zugelassen sind nur:

  • Die Verfahrensbeteiligten (Richter, Staatsanwalt, Verteidiger)
  • Die Eltern oder Erziehungsberechtigten
  • Vertreter der Jugendgerichtshilfe
  • In Ausnahmefällen weitere Personen mit berechtigtem Interesse

Presseberichterstattung ist zwar möglich, aber nur anonym. Name und Bild des Jugendlichen dürfen nicht veröffentlicht werden.

Rolle der Jugendgerichtshilfe

Die Jugendgerichtshilfe (meist beim Jugendamt angesiedelt) spielt eine zentrale Rolle im Verfahren. Sie:

  • Ermittelt die persönlichen, familiären und sozialen Verhältnisse des Jugendlichen
  • Führt intensive Gespräche mit dem Jugendlichen und seiner Familie
  • Begleitet den Jugendlichen während des gesamten Verfahrens
  • Gibt dem Gericht eine pädagogische Einschätzung zur Tatmotivation
  • Schlägt geeignete Maßnahmen vor
  • Unterstützt bei der Durchführung der Maßnahmen
  • Vermittelt bei Bedarf weitere Hilfen (Suchtberatung, Familientherapie)

Der Bericht der Jugendgerichtshilfe hat erheblichen Einfluss auf die Entscheidung des Gerichts, da er die pädagogische Perspektive einbringt.

Vereinfachtes Jugendverfahren

Bei leichteren Vergehen kann ein vereinfachtes Verfahren durchgeführt werden, das schneller und weniger formell abläuft. Dies ermöglicht eine zügige Reaktion auf das Fehlverhalten, was gerade bei Jugendlichen wichtig ist.

Voraussetzungen:

  • Leichtere Verfehlung
  • Einfache Beweislage
  • Keine Jugendstrafe zu erwarten

Diversion: Einstellung des Verfahrens

In vielen Fällen wird das Verfahren eingestellt, ohne dass es zu einer Hauptverhandlung kommt (sog. Diversion). Dies ist möglich, wenn:

  • Die Schuld gering ist
  • Erzieherische Maßnahmen bereits eingeleitet wurden
  • Ein Täter-Opfer-Ausgleich stattgefunden hat
  • Die Strafverfolgung aus erzieherischen Gründen nicht geboten erscheint

Die Diversion ist ein wichtiges Instrument, um junge Menschen nicht unnötig zu kriminalisieren und ihnen eine zweite Chance zu geben, ohne dass sie eine Vorstrafe erhalten.

Mögliche Diversionsmaßnahmen:

  • Arbeitsauflage (z.B. 20 Stunden gemeinnützige Arbeit)
  • Täter-Opfer-Ausgleich
  • Teilnahme an einem Verkehrserziehungskurs
  • Teilnahme an einem Anti-Aggressions-Training
  • Drogenberatung

Rechte von Jugendlichen und Eltern

Auch im Jugendstrafverfahren haben Betroffene umfassende Rechte, die unbedingt wahrgenommen werden sollten. Diese Rechte dienen dem Schutz des Jugendlichen und sichern ein faires Verfahren.

Recht zu schweigen

Jugendliche haben wie Erwachsene das Recht, keine Aussage zu machen. Von diesem Recht sollte unbedingt Gebrauch gemacht werden, bis Rücksprache mit einem Anwalt erfolgt ist. Voreilige Aussagen können das Verfahren erheblich erschweren.

Das Schweigerecht gilt:

  • Bei polizeilichen Vernehmungen
  • Bei staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen
  • Bei richterlichen Vernehmungen
  • In der Hauptverhandlung

Weitere Informationen zum Aussageverweigerungsrecht finden Sie in unserem Artikel über das Recht zu schweigen und Aussageverweigerungsrecht als Beschuldigter.

Praxis-Tipp: Keine Aussage ohne Anwalt

Auch wenn Polizei oder Jugendamt freundlich auftreten und beteuern, dass eine Aussage helfen würde – machen Sie keine Aussage ohne vorherige anwaltliche Beratung. Selbst vermeintlich harmlose Angaben können später gegen den Jugendlichen verwendet werden.

Rechte der Eltern

Eltern haben im Jugendstrafverfahren besondere Rechte und Pflichten:

Rechte der Eltern

  • Benachrichtigungsrecht: Eltern müssen über Vorladungen und Verfahrensschritte informiert werden
  • Anwesenheitsrecht: Eltern dürfen bei Vernehmungen anwesend sein
  • Informationsrecht: Sie müssen über den Tatvorwurf und das Verfahren informiert werden
  • Akteneinsicht: Über den Anwalt können sie Einsicht in die Akten nehmen
  • Stellungnahmerecht: Sie können sich zur Persönlichkeit des Jugendlichen äußern
  • Anwesenheit in der Hauptverhandlung: Eltern sind zur Hauptverhandlung zu laden

Wichtig: Eltern sind nicht verpflichtet, gegen ihr Kind auszusagen. Sie haben ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO.

Recht auf Verteidigung

Jeder Jugendliche hat das Recht auf einen Verteidiger. In bestimmten Fällen ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers sogar zwingend vorgeschrieben:

  • Wenn eine Jugendstrafe ohne Bewährung droht
  • Bei schweren Verbrechen
  • Wenn der Jugendliche sich nicht ausreichend verteidigen kann
  • Wenn er zur Hauptverhandlung in Haft ist
  • Bei Heranwachsenden, wenn Jugendstrafrecht angewendet wird

Mehr zur Pflichtverteidigung erfahren Sie in unseren Artikeln über Anspruch auf Pflichtverteidiger und Kosten der Pflichtverteidigung.

Akteneinsicht

Der Verteidiger hat jederzeit das Recht, die Ermittlungsakten einzusehen. So kann er:

  • Prüfen, welche Beweise vorliegen
  • Die rechtliche Bewertung überprüfen
  • Die Verteidigungsstrategie planen
  • Mängel in den Ermittlungen erkennen

Rechtsmittel

Gegen das Urteil können Rechtsmittel eingelegt werden:

  • Berufung: Überprüfung durch das Landgericht (bei Urteilen des Amtsgerichts)
  • Revision: Überprüfung der Rechtsanwendung durch das Oberlandesgericht

Die Frist zur Einlegung beträgt eine Woche nach Urteilsverkündung. Die Begründung muss innerhalb eines Monats erfolgen.

Wann braucht man einen Anwalt?

Ein erfahrener Anwalt im Jugendstrafrecht ist für Jugendliche und ihre Eltern oft die wichtigste Unterstützung. Er schützt die Rechte des Jugendlichen, berät die Familie und hilft, mögliche Fehler von Anfang an zu vermeiden.

Warum frühzeitige Beratung wichtig ist

Je früher ein Anwalt eingeschaltet wird, desto besser lassen sich Rechte sichern und das Verfahren positiv beeinflussen. Ein Anwalt kann:

Was ein Anwalt für Sie tut

  • Die rechtliche Situation realistisch einschätzen
  • Über alle Rechte aufklären und deren Wahrnehmung sichern
  • Bei Vernehmungen begleiten und beraten
  • Akteneinsicht nehmen und die Beweislage prüfen
  • Mit Jugendgerichtshilfe und Staatsanwaltschaft kommunizieren
  • Mildernde Umstände vorbringen und alternative Maßnahmen vorschlagen
  • Auf eine Verfahrenseinstellung hinwirken
  • In der Hauptverhandlung verteidigen
  • Rechtsmittel einlegen, wenn nötig
  • Bei der Vollstreckung unterstützen (z.B. Haftverschonung, vorzeitige Entlassung)

Kosten der Verteidigung

Viele Eltern scheuen die Kosten einer anwaltlichen Vertretung. Jedoch:

  • Bei drohendem Pflichtverteidigerfall trägt der Staat die Kosten
  • Eine Rechtsschutzversicherung übernimmt oft die Anwaltskosten
  • Bei geringem Einkommen kann Prozesskostenhilfe beantragt werden
  • Viele Anwälte bieten eine Erstberatung zu einem festen günstigen Preis an

Die Investition in eine gute Verteidigung kann sich lohnen, da sie die Zukunft des Jugendlichen erheblich beeinflussen kann.

„Gerade weil das Jugendstrafrecht anders funktioniert als das Erwachsenenstrafrecht, kann frühzeitige rechtliche Begleitung den Verlauf eines Verfahrens entscheidend beeinflussen – und dafür sorgen, dass die Sache für den Jugendlichen möglichst glimpflich ausgeht."

Fachanwalt für Strafrecht

Folgen und Rehabilitation

Eine der häufigsten Sorgen von Eltern: Wird die Jugendstrafe die Zukunft meines Kindes zerstören? Die gute Nachricht: Das Jugendstrafrecht ist darauf ausgelegt, Jugendlichen eine zweite Chance zu geben.

Eintragung im Führungszeugnis

Nicht alle Maßnahmen werden im Führungszeugnis eingetragen:

  • Erziehungsmaßregeln: Werden nicht eingetragen
  • Zuchtmittel: Werden in der Regel nicht eingetragen
  • Jugendstrafe: Wird eingetragen, kann aber nach gewisser Zeit getilgt werden

Zudem gibt es verschiedene Arten von Führungszeugnissen:

  • Einfaches Führungszeugnis: Für Bewerbungen bei Arbeitgebern. Viele Jugendstrafen werden hier nicht aufgeführt
  • Erweitertes Führungszeugnis: Für Tätigkeiten mit Kindern und Jugendlichen. Hier werden auch Sexualdelikte aufgeführt
  • Behördliches Führungszeugnis: Für Behörden. Enthält alle Eintragungen

Tilgung von Eintragungen

Einträge im Bundeszentralregister werden nach bestimmten Fristen automatisch gelöscht:

  • Jugendstrafe bis 1 Jahr: Tilgung nach 5 Jahren
  • Jugendstrafe bis 2 Jahre: Tilgung nach 10 Jahren
  • Jugendstrafe über 2 Jahre: Tilgung nach 10 Jahren

Die Frist beginnt mit der Rechtskraft des Urteils bzw. dem Ende der Vollstreckung. Nach Ablauf der Tilgungsfrist gilt der Betroffene als nicht vorbestraft.

Rehabilitation und Resozialisierung

Das Jugendstrafrecht setzt auf Rehabilitation. Während der Maßnahmen erhalten Jugendliche Unterstützung:

  • Schulische und berufliche Förderung
  • Soziales Training und Konfliktbewältigung
  • Sucht- und Drogenberatung
  • Psychologische Betreuung
  • Hilfe bei der Wohnungs- und Arbeitssuche
  • Vermittlung von Ausbildungsplätzen
  • Nachsorge nach der Entlassung

Ziel ist es, dem Jugendlichen die Chance auf ein straffreies Leben zu geben und ihn erfolgreich in die Gesellschaft zu integrieren.

Was Eltern zur Unterstützung tun können

Unterstützung durch Eltern

  • Rückhalt geben: Zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sie trotz allem zu ihm stehen
  • Klare Grenzen setzen: Machen Sie deutlich, dass das Verhalten nicht akzeptabel war
  • Struktur bieten: Helfen Sie bei der Organisation von Schule, Ausbildung, Terminen
  • Professionelle Hilfe suchen: Nutzen Sie Angebote der Jugendgerichtshilfe, Familienberatung
  • Positives Umfeld fördern: Unterstützen Sie positive Freundschaften und Hobbys
  • Geduld haben: Veränderung braucht Zeit

Weitere Informationen zum Strafverfahren finden Sie in unseren Ratgebern zur Vorladung als Beschuldigter und zum Umgang mit Anklagen und Strafbefehlen.

Jugendstrafverfahren droht?

Lassen Sie sich von unseren Experten beraten und erfahren Sie, welche Maßnahmen drohen und wie Sie die Rechte Ihres Kindes schützen können.